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Lisanne´s Tumor-OP

Anfang Oktober 2001 entdeckte ich bei Lisanne eine Schwellung unter dem Bauch beim linken Hinterbeinchen. Ich bekam einen Schrecken und schnappte sie mir, um sie genauer zu untersuchen. Tatsächlich, der Verdacht bestätigte sich leider. Lisanne hatte ein Krebsgeschwür und es war auch schon ca. 2 cm groß. Weshalb hatte ich das nur nicht eher gesehen? Lisanne war zu dem Zeitpunkt ca. 1 ½ Jahre alt. Für mich stand sofort fest, dass ich sie operieren lassen möchte, um ihr das Leben zu verlängern.

Ich überlegte, bei welchem Tierarzt ich Lisanne am besten vorstellen sollte. In den Jahren vorher hatte nämlich jeder Tierarzt eine Operation meiner betroffenen Ratte abgelehnt. Der erste befürchtete die Narkosemenge bei solch einem kleinen Tier nicht richtig dosieren zu können (ich bin ihm dankbar, dass er das zugegeben und nicht einfach drauflos operiert hat). Der zweite hat die OP ebenfalls abgelehnt, weil erfahrungsgemäß kurze Zeit später wieder mindestens ein neuer Tumor nachwachsen würde und man der Ratte somit das Leben nicht wirklich verlängern könnte, sondern ihr nur zusätzlich die Wundschmerzen zufügen würde. Bei der nächsten Ratte und einem dritten Tierarzt bekam ich ähnliches gesagt.

Als sich dann bei meiner liebsten Nele im April 2000 ein Tumor entwickelte, bin ich mit ihr erst gar nicht mehr zum Tierarzt gegangen. Leider, wenn Nele operiert worden wäre, hätte sie bestimmt noch etliche Monate unbeschwert durch die Gegend hüpfen können. So verbrachte sie die letzten Wochen nur noch auf einer Ebene im Käfig und konnte auch nur noch zum Futternapf robben. Sie musste dann im September 2000 erlöst werden, obwohl sie selbst noch nicht bereit war zu sterben. Dieses Schicksal wollte ich Lisanne und auch mir möglichst ersparen. Da kam mir der geniale Gedanke, Lisanne in der Tierklinik operieren zu lassen. Dort wurde sie ja ein Jahr vorher schon einmal notoperiert, als ihr bei dem Integrationsversuch eine lebensgefährliche Bissverletzung am Bauch zugefügt wurde. Die Preise sind dort zwar um einiges höher, aber die Tierärzte haben dafür auch mehr OP-Erfahrung, dachte ich mir.

Ich fand aber erst eine Woche später die Zeit, Lisanne in der Tierklinik untersuchen zu lassen. Oh Schreck; der Tumor war in dieser einen Woche schon um das doppelte gewachsen. Zufällig hatte dieselbe Ärztin gerade Dienst, die damals auch die Not-OP an Lisi vorgenommen hatte. Sie untersuchte Lisanne und willigte ein, die OP durchzuführen, obwohl sie nicht genau ertasten konnte, ob der Tumor in der Tiefe ebenfalls gut abgegrenzt sein würde. Der nächste freie Termin zur OP war erst 6 Tage später. Der Tumor wuchs weiterhin so schnell und war am OP-Tag abermals doppelt so groß geworden. Die Tierärztin bekam selbst einen Schreck, als sie Lisanne wiedersah.

Die Operation wurde mit Inhalationsnarkose durchgeführt. Diese Narkoseart ist für Ratten verträglicher, als eine Injektionsnarkose. Mittags durfte ich anrufen und mich nach Lisis Zustand erkundigen. Es war alles gut verlaufen und sie war auch schon wieder wach. Mir fiel ein dicker Felsbrocken vom Herzen. Am späten Nachmittag holte ich sie dann aus der Klinik ab. Zu Hause hatte ich einen Hamsterkäfig als Krankenkäfig für Lisanne hergerichtet. Nur mit Zeitung und obendrauf einer dicken Schicht Küchenpapier ausgelegt, und zum Verstecken gab es ein sauberes Handtuch. Man muss sich wundern, wie Ratten solch einen Eingriff wegstecken können. Lisanne war schon wieder recht munter und hatte auch Appetit. Allerdings war sie ziemlich irritiert von der „Halskrause“, die ihr nach der Operation angelegt worden war. Es gab Probleme beim Fressen, denn Lisanne konnte das Futter zwar aufnehmen, da das Ding durchsichtig und ziemlich flach (ungefähr so wie ein Suppenteller) war, aber sie konnte die Brocken nicht mit den Vorderpfötchen festhalten, wie Ratten es ja normalerweise machen. Ich gab Lisanne etwas angerührten Brei auf einem Löffel, das gefiel ihr sehr gut.

Am nächsten Morgen ging ich sorglos zur Arbeit, da Lisanne ja die Halskrause trug, und an die Operationsnaht nicht herankommen konnte, so dachte ich. Als ich abends wieder heimkam, traf mich fast der Schlag. Lisanne hatte sich die Naht vollständig aufgemacht und die Wunde klaffte schon zur Hälfte wieder auseinander. Wir mussten sofort zur Tierklinik fahren und dort wurde sie unter Narkose wieder zugenäht. Abends um 22:00 Uhr konnte ich sie wieder mitnehmen. Sie hatte wieder eine Halskrause um, diesmal aber eine trichterförmige, die doppelt so lang war, wie ihr Schnäuzchen. Lisanne presste sich damit ständig gegen die Käfigwand, so dass keine Luft mehr hinein kam. Ich zog sie immer wieder zurück. Zu Haus stellte sich heraus, dass Lisanne mit diesem Ding überhaupt kein Futter aufnehmen konnte, auch die Nippeltränke war unerreichbar. Ich bot Lisi gekochten Reis auf einem Löffelchen an. Der blieb ihr wahrscheinlich im Hals stecken und sie fing fürchterlich an zu würgen. Da entfernte ich in Windeseile diesen blöden Trichter, Lisanne konnte das Reiskorn herunterwürgen und beruhigte sich dann auch langsam.

Um Lisanne daran zu hindern, die Naht erneut aufzuknabbern, setzte ich mich zu Hause aufs Sofa vor den Fernseher und stellte den Hamsterkäfig mit Lisi neben mich. Eine Hand legte ich in den Käfig, um Lisanne beruhigend zu streicheln, wenn sie wieder Anstalten machte, die störenden Fäden zu ziehen. Das klappte auch recht gut, bis mir irgendwann im Morgengrauen doch für 10 Minuten die Augen zufielen. Darauf hatte Lisanne nur gewartet, sie nutzte den Augenblick und zog sich sofort wieder alle Fäden. Verzweiflung machte sich bei mir breit. Ich rief in der Klinik an und wurde wieder zum Nähen herbestellt. Als ich Lisanne nachmittags abholte, sagte mir die Ärztin, dass sie die Wunde für die erneute Naht nochmals vollständig geöffnet hatte und dabei noch 3 klitzekleine Tumore entdeckt und gleich entfernt hatte. Die OP-Wunde wurde diesmal mit einer 3-fach-Naht geschlossen. Die Lisanne sich trotz weiterer Rund-um-die-Uhr-Bewachung natürlich irgendwann wieder aufmachte, aber durch diese Nahttechnik klaffte die Wunde nun nicht mehr auf, weil die beiden etwas versetzt darunter liegenden Nähte sie noch zusammenhielt. Eine Woche später waren die Operationsstrapazen vergessen und es wuchs auch schon wieder das abgeschorene Fell nach.

Seit Lisanne’s Operation sind inzwischen 10 Monate vergangen. Es ist bis jetzt kein Tumor nachgewachsen. Vor einigen Tagen wurde sie geröntgt und es sieht bei ihr sehr gut aus. Auch auf den Röntgenbildern war kein neues Tumorwachstum auszumachen. Darum muss ich jetzt im Nachhinein trotz aller damaligen Strapazen und Verzweiflung sagen, es war gut, dass Lisanne keine „brave“ Patientin war, denn sonst hätte das restliche Tumorgewebe ja nicht mehr entdeckt und entfernt werden können, und vermutlich würde sie dann heute überhaupt nicht mehr leben. Nach Lisanne ließ ich noch 3 weitere Ratten, Sarah, Janka und Emily, operieren, bei denen sich ziemlich zeitgleich Tumore entwickelt hatten. Diese 3 hatten nicht so viel Glück. Bei allen sind einige Wochen nach der Operation erneut Tumore gewachsen und die Tierärztin lehnte es leider ab, nachzuoperieren. Dennoch werde ich mich immer wieder dazu entschließen, einer Ratte den Tumor wegoperieren zu lassen, wenn es möglich ist. Denn selbst wenn sich später wieder neue Tumore bilden sollten, kann dem Tierchen dadurch das Leben wenigstens um einige Monate verlängert werden. Und einige Monate sind bei der relativ kurzen Lebenserwartung der Ratten von ca. 2 bis 3 Jahren schon eine ganz schön lange Zeit.

P.S. Lisanne ist im Alter von 2 Jahren und 10 Monaten, 1 ¼ Jahre nach ihrer Tumor-OP, gestorben. Es war doch noch einmal ein Tumor gewachsen, diesmal im Bauchraum (evtl. Gebärmutter), der nicht mehr operiert werden konnte. Ich vermisse sie.